22.08.2022

40 Jahre DZ BANK in London: Interview mit Filialleiter Johannes Haas

Johannes Haas

Herr Haas, 40 Jahre London Branch. Was, würden Sie sagen, macht die Arbeit einer Filiale über einen so langen Zeitraum einzigartig?
Das hängt natürlich immer sehr stark von der Attraktivität des Standortes ab. Und London ist eben eine sehr attraktive und innovative Stadt. Die City of London war immer ein Magnet für Banken, Firmen und Finanzdienstleister. Wir haben hier ausgezeichnete Universitäten, ein tolles Kulturangebot und natürlich enorme Wirtschaftskraft. Ich bin sicher, dass sich London auch in der Post-Brexit-Ära weiterentwickeln und ein wichtiger Finanzplatz bleiben wird.

Welche Aufgaben hatte die Branch früher, welche sind es heute?
Über die Jahre haben sich die Aufgaben doch sehr verändert. Vor 25 Jahren war die Branch sehr aktiv in der Finanzierung von Gewerbeimmobilien und in der Filmfinanzierung. Dazu gab es ein erfolgreiches Einlagen- und Kreditgeschäft in Fremdwährungen, im Firmenkundenbereich einen sehr aktiven German Desk, und natürlich umfangreiche Treasury-Aktivitäten. Einige dieser Aktivitäten wurden im Laufe der Zeit heruntergefahren. Heute haben wir eine stabile Branch mit Projekt- und Akquisitionsfinanzierungen, Loan Syndication – also die klassischen Structured-Finance-Aktivitäten einer Auslandfiliale – und wir haben auch wieder einen German Desk, ein kleines Pflänzchen, das sich aber ganz ordentlich entwickelt. Außerdem sind wir weiterhin sehr aktiv im Treasury und unterstützen die DZ BANK Gruppe und den genossenschaftlichen Finanzverbund mit Liquiditätsbeschaffung.

Am ersten Brexit-Tag haben wir Sie gefragt, ob London zum Singapur an der Themse werden könnte. Wie ist der Stand zwei Jahre später?
Also wenn wir uns die Hitzewelle in diesem Monat anschauen, dann sind wir schon nah dran mit dem Singapur an der Themse. Aber – Spaß beiseite – es kommt darauf an, wie weit sich Großbritannien an die EU binden will. Weiterhin offen ist das Derivate-Clearing. Bislang gibt es nur eine Übergangslösung, die auch erst einmal verlängert wurde.  Eine Entscheidung auf EU-Seite für Paris oder Frankfurt hätte jedenfalls Auswirkungen auf London als Finanzplatz. Wir gehen aber davon aus, dass sich eine Neuregelung noch eine Zeitlang hinziehen dürfte. Von Singapur an der Themse wird zumindest hier vor Ort nicht mehr so häufig gesprochen. Zudem hängt vieles davon ab, wie die nächste Regierung mit dem Nord-Irland-Protokoll umgeht.

Wie wirkt sich der Brexit auf die Arbeit und das Umfeld der Kolleginnen und Kollegen in London aus?
Der Brexit ist für uns eigentlich kein Thema mehr, bis auf eine Ausnahme: Praktikanten einzustellen ist ungleich schwieriger geworden. Die Visumvergabe ist zeitaufwendig, kostspielig und muss von einem Anwalt begleitet werden. Für kurze Praktika ist der Aufwand für uns insgesamt einfach zu groß. Das ist sehr schade, denn wir hatten immer wieder Praktikanten aus dem Verbund, die nachdem sie zu ihren Genossenschaftsbanken zurückgekehrt sind, weiter direkte Ansprechpartner für unseren German-Desk in der Region waren. Dieser Austausch geht jetzt nach und nach verloren.

Wie verändert der Brexit das Verständnis zwischen Briten und Europäern bzw. Deutschen?
Eine Veränderung ist nicht nur beim Thema Praktikanten deutlich zu sehen, sondern es betrifft auch das Erasmus-Programm für Studierende. Insbesondere auf der Universitätsseite ist die europäische Zusammenarbeit bedeutend schwieriger geworden. Und das ist sicherlich der negativste Effekt des Brexit. Die Jugend kam zusammen, sowohl durch Erasmus als auch durch die Praktika. Und das hat das Verständnis zwischen Briten und Europäern bzw. Deutschen gefördert. Leider hat der Brexit genau diesen wichtigen Austausch von Menschen innerhalb Europas nachhaltig gestört.

Was sind die größten Herausforderungen, denen sich die Bankenbranche in Großbritannien in den nächsten Jahren stellen wird?
Die Bankenbranche hat hier die gleichen Themen wie alle anderen auch. Digitalisierung, ESG – also Umwelt, Soziales und Governance – und natürlich Regulatorik. Das alles wird uns nachhaltig beschäftigen. Abgesehen von der anstehenden Entscheidung zum Derivate-Clearing haben wir nichts, was jetzt anders wäre als in Frankfurt, New York oder in Paris.

Welches sind die drei wichtigsten Themen der London Branch für die nächsten fünf Jahre?
Ganz vorne stehen für die Filiale die regulatorischen Veränderungen, die sich aus dem Brexit ergeben. Wir laufen leider nicht mehr unter dem European Passport, sondern sind nun eine Third-Country-Branch. Der Aufwand wird größer, denn wir müssen jetzt unser Reporting auch direkt an die Bank of England schicken. Das zweite Thema ist ESG, auch weil die Bank of England schon vor dem Brexit federführend war in der Intensität der Umsetzung. Hier müssen wir unseren Beitrag leisten und auch zeigen, dass wir uns zukünftig richtig aufstellen. Das dritte Thema liegt auf der Hand, gerade wegen der Abschottung durch den Brexit: In der Vergangenheit konnten wir problemlos über die Praktikanten Nachwuchs ins Haus holen. Manch einer blieb einfach in London und hat in der London Branch seine berufliche Karriere fortgesetzt. Das wird nun sicher schwieriger für uns, und wir müssen generell daran arbeiten, auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben.