„Von einer Energiewende können wir noch nicht wirklich sprechen“ – Energieexpertin Alexandra Pohl im Interview
Spätestens seit der Energiekrise will sich Deutschland unabhängig von einzelnen Energielieferanten machen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien spielt dafür eine entscheidende Rolle. Das zeigt sich auch in den Büchern der DZ BANK. Auf 6,5 Milliarden Euro sind die Projektfinanzierungen für Erneuerbare Energien der DZ BANK im vergangenen Jahr angewachsen. Ganz wesentlich hat das deutsche Erneuerbare Energien-Geschäft dazu beitragen. Die Gruppe SFIE beschäftigt sich marktseitig mit dem Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland und hat im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit den zuständigen Kredit-Einheiten ein Rekordergebnis beim Neukreditvolumen erzielt. Wir haben Gruppenleiterin Alexandra Pohl gefragt, ob die Energiekrise der Branche neuen Schwung verliehen hat und wo wir beim Ausbau der Erneuerbaren stehen.
Frau Pohl, wie ist das Geschäft in Deutschland im vergangenen Jahr gelaufen?
Obwohl das Genehmigungsvolumen im deutschen Markt für Erneuerbare Energien derzeit stockt, konnten wir unser Neukreditvolumen für den Standort Deutschland um rund ein Drittel steigern und damit 2022 rund 660 Millionen Euro zusagen. Unser Kundenportfolio reicht vom einzelnen Landwirt als Betreiber eines Bürgerwindparks mit vielen Beteiligten bis hin zum Groß-Projektierer, der riesige Windparks in Deutschland baut. Wir haben im letzten Jahr viele neue Kunden dazugewonnen – auch, weil die DZ BANK eine sehr gute Bonität aufweisen kann und das für unsere Projektpartner im turbulenten Marktumfeld immer wichtiger wird.
Welchen Effekt haben diese Anlagen für den Standort Deutschland?
Insgesamt haben wir 2022 in Deutschland allein rund 80 Windkraftanlagen finanziert. Sie versorgen rund 280.000 Haushalte mit grünem Strom – das spart pro Jahr 660.000 Tonnen CO2 ein. Windenergie machen den Großteil unserer Projekte aus – nämlich knapp 90 Prozent. Beim Rest handelt es sich um Photovoltaikanlagen.
Gehen Sie davon aus, dass die DZ BANK ihr Neukreditvolumen auch in den kommenden Jahren weiter ausweiten kann?
Das Marktpotenzial bei den Erneuerbaren Energien liegt bei rund 30 bis 40 Milliarden Euro Neugeschäft pro Jahr, um die ehrgeizigen Ziele der Ampelregierung erfüllen zu können. Insbesondere sogenannte Onshore-Anlagen – also Windkraftanlagen an Land – werden die wesentlichen Treiber der Energiewende sein. Sie haben einen größeren Wirkungsgrad als beispielsweise Photovoltaikanlagen, denn sie liefern proportional mehr Energie. Das Problem: Der Ausbau der Anlagen geht nach wie vor deutlich zu langsam voran. Auch wenn im vergangenen Jahr mehr gebaut worden ist als zuvor, so errichten wir in Deutschland immer noch viel zu wenig Anlagen pro Jahr, um unsere Ziele zu erreichen. Im Übrigen fehlen auch Netze, in die wir den entstehenden Strom einspeisen könnten. Von einer Energiewende können wir also noch nicht wirklich sprechen.
Was braucht es denn, um voranzukommen? Die Energiekrise hat doch gezeigt, dass wir um die Erneuerbaren nicht herumkommen, und an den Finanzierungen scheint es nicht zu scheitern.
Ich sehe hier vor allem drei Ansätze.
Erstens: Bürokratie abbauen. Denn Bürokratie ist weiterhin der gordische Knoten, der unsere Arbeit behindert. Es hat sich im vergangenen Jahr so gut wie nichts daran geändert, dass es vor dem Bau einer Windkraftanlage oder eines Windparks unzählige Hürden zu überwinden gibt. Allen voran: die Bundesimmissionsschutzgenehmigung -bis es die gibt, dauerte es 2022 im Schnitt fast zwei Jahre – deutlich zu lange für einen signifikanten Ausbau. Das liegt einerseits an der mangelhaften Digitalisierung des Antragsverfahrens, aber auch an fehlendem Personal, übrigens bei allen Beteiligten in der Errichtungskette.
Zweitens: mehr Flächen bereitstellen. Zwar verpflichtet erstmals ein Gesetz alle Bundesländer dazu, zwei Prozent ihrer Landesflächen für Erneuerbare Energien auszuweisen. Leider sind aber Länder wie Bayern, Sachsen und Thüringen 2022 kaum vom Fleck gekommen. Wenn diese Flächen bereitstehen, wird das dem Ausbau einen großen Schub verleihen.
Drittens: einen Konsens in der Bevölkerung anstreben. Viele Menschen stören sich weiterhin an Windkraftanlagen in der Landschaft. Zwar beobachte ich eine gewisse emotionale Entspannung, aber in der Praxis erfahren die Projektierer weiterhin viel Widerstand. Es ist ein Paradoxon: Viele befürworten den Ausbau, aber nur nach dem Prinzip: „Not in my backyard!“ Hier hilft es nur, weiter über die Erneuerbaren Energien aufzuklären.
Mittelständler setzen auf Erneuerbare Energien
Auch der Mittelstand hat das Potenzial von Photovoltaik, Windkraft und Co. längst entdeckt. Viele Unternehmen beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema – und wollen jetzt auch investieren. Zunehmend mehr sehen darin Chancen, nicht nur energieautark zu werden, sondern langfristig auch Kosten zu senken.Eine aktuelle Befragung im Mittelstand belegt das. Fast zwei Drittel der Unternehmen gab an, in Photovoltaik investieren zu wollen.
Auch Investitionen in einen energieeffizienteren Verbrauch – also in verbesserte Heizsysteme oder Produktionsprozesse – stehen für mehr als 60 Prozent hoch im Kurs. Außerdem stehen Großprojekte wie Windkraft- oder Biomasseanlagen auf der Investitionsliste von rund 10 Prozent der Unternehmen. Insbesondere bei Windparks handelt es sich oftmals um komplexe Projekte, bei denen die Planung stimmen muss.
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