„Nicht von den hohen Speicherständen blenden lassen“:

Analyst Gabor Vogel erwartet erneut steigende Gas- und Ölpreise

Rohstoff-Experte Gabor Vogel

Ein Energie-Notstand ist in Deutschland trotz des Kriegs gegen die Ukraine in diesem Winter vom Tisch. Milde Temperaturen, die Einsparungen der Industrie und Haushalte sowie die verstärkte Beschaffung von Erdgas aus Norwegen und den Benelux-Ländern haben das verhindert. Zudem habe die Bundesregierung laut DZ BANK Analyst Gabor Vogel bei der Realisierung von neuen LNG-Flüssiggas Terminals aufs Tempo gedrückt. Trotzdem sei die Lage am Weltmarkt weiter angespannt, wie der Experte im Interview erklärt.

Herr Vogel, im August waren die Gaspreise an der Börse etwa sechs Mal so hoch wie jetzt – warum sind die Kosten wieder gesunken und wie ordnen Sie die Marktlage aktuell ein?

Im vergangenen Jahr haben wir phasenweise panikartige Zustände an der europäischen Gasbörse beobachtet, da sich mit Russland ein dominierender Produzent vom westlichen Markt verabschiedet hat. Mittlerweile haben sich die Gaspreise aber beruhigt. Die Brisanz der Energiekrise hat nachgelassen. Insbesondere mit Blick auf die zweite Jahreshälfte werden die Kosten aber wieder steigen, weil China Gas braucht. Daran werden auch die neuen LNG-Terminals in Deutschland nichts ändern. Rund 80 Prozent des LNGs sind vertraglich gebunden, die restlichen 20 Prozent stehen wir im Wettbewerb. Die Chinesen haben viele Lieferungen gebucht, die sie vergangenes Jahr unter anderem nach Europa verkauft haben. Ob das 2023 in dem Umfang erneut passiert, ist wegen der konjunkturellen Erholung Chinas unwahrscheinlich. Die anziehende LNG-Nachfrage in Asien wird die dortigen Preise anschieben. Falls wir da nicht mitgehen, wird es schwierig. Denn: Um ausreichend Gas zu beschaffen, müssen die Preise in Europa dauerhaft attraktiv für LNG-Exporteure bleiben. Mit Blick auf den Sommer wird es nochmal spannend, da die entstandene russische Erdgaslücke in Deutschland zu einem großen Teil mit LNG geschlossen werden muss.

Erdgas dürfte also wieder teurer werden und die Inflation befeuern?

Damit ist zu rechnen. Je nachdem wie sich die Konkurrenzsituation mit Asien entwickelt. Der Erdgaspreis dürfte sich mit Blick auf den Sommer zunächst an der Marke von 75 Euro je Megawattstunde orientieren. Falls China keine Lieferungen fregibt, sind auch dreistellige Notierungen denkbar. Jedoch werden wir keine Mondpreise wie 2022 zahlen müssen. Der durchschnittliche Erdgaspreis lag im zweiten Halbjahr bei 164 Euro je Megawattstunde. Diese Niveaus werden wir 2023 nicht mehr sehen. Der Inflationsbeitrag wird also abnehmen. Auch   die staatlichen Hilfsmaßnahmen werden den Inflationseffekt abmildern. Aber es gibt vorerst kein Zurück zum alten Preisniveau, das bei etwa 20 Euro je Megawattstunde lag. Aktuell kostet die Megawattstunde Gas rund 50 Euro. Damit bleibt Energie vergleichsweise teuer, obwohl der Preis deutlich unter dem Vorjahr liegen wird.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Versorgungslage im kommenden Winter – was ist dann anders als im letzten Jahr?

Wir dürfen uns nicht zu sehr von den hohen Speicherständen blenden lassen. Die russische Lücke muss 2023 trotzdem geschlossen werden. Hier spielen die LNG-Einfuhren eine wichtige Rolle, insbesondere im Sommer. Um die ausfallenden Gaslieferungen aus Russland auszugleichen, dürfen aber auch die Sparziele nicht außer Acht gelassen werden. Ob die Industrie in der zweiten Jahreshälfte bei günstigeren konjunkturellen Bedingungen im Vergleich zum Vorjahr nochmal so viel sparen kann, ist jedoch unwahrscheinlich. Dass die Speicher weniger stark befüllt werden müssen als im Vorjahr, hilft aber natürlich. Wir dürften den nächsten Winter mit leichten Blessuren überstehen, aber zu höheren Erdgaspreisen. Deutschland muss also weiter hart arbeiten und die Energiewende konsequent vorantreiben, denn unterm Strich gibt es neben den Zielen der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit auch ein zentrales ökologisches Ziel. Dieses Energie-Trilemma zu lösen, dauert Jahre und ist ohne regenerative Energien nicht darstellbar.

Verbraucher und Wirtschaft hängen auch am Öl – tut Tanken weiterhin weh?

Die Opec+ hat angekündigt, dass sie russische Ausfälle nicht ausgleichen wird, ihre Produktion also nicht erhöht. Zudem spielt China auch hier eine entscheidende Rolle nach dem Wegfall der Coronabeschränkungen. Die Nachfrage wird sich dynamisch nach oben entwickeln. Bereits im Januar gab es dort 50 Prozent mehr Flugzeuge in der Luft als im Vormonat. Der chinesische Einfluss sollte sich bei Rohöl bereits im Frühjahr bemerkbar machen, im zweiten Halbjahr wird sich die Konjunkturperspektive im Rest der Welt auch wieder aufgehellt haben. Es spricht viel dafür, dass die globale Nachfrage die Preise mittelfristig auf 95 und langfristig auf 100 US-Dollar treiben wird. Bei Brent Rohöl – der wichtigsten Sorte im europäischen Markt – erwarten wir auf Sicht von zwölf Monaten einen Preisanstieg von fast 20 Prozent. Insbesondere die Verbraucher wird das erneut belasten.

 

Weitere Einschätzungen unserer Analysten finden Sie auf dem DZ Research Blog.