Wie werden wir unabhängiger von russischer Energie? / Gespräch mit unserem Kunden EnBW
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine rufen Politiker immer wieder dazu auf, Energie zu sparen. Viele Deutsche wären dazu bereit: Bei einer von der DZ BANK initiierten Umfrage auf LinkedIn gaben fast zwei Drittel an, ihr Verhalten mit Blick auf Ihren Energiekonsum aufgrund des Krieges zu ändern oder es zu planen. Doch wie viel bringen kurzfristige Energiesparmaßnahmen wirklich und wie kann Deutschland langfristig unabhängig von russischer Energie werden? Das haben wir unseren Kunden EnBW gefragt – im Gespräch: Dr. Jörg Jasper, Leiter Energiewirtschaft und Positionierung bei EnBW.
Herr Dr. Jasper, was sind denn kurzfristig sinnvolle Maßnahmen, um Energie zu sparen?
Der russische Krieg in der Ukraine wird die Energieversorgung in Deutschland und Europa dauerhaft und tiefgreifend verändern. Kurzfristig geht es vor allem um Möglichkeiten für den Ersatz von russischer Steinkohle und Gas, und darum sich gegen potenzielle Energieknappheiten abzusichern, um Privathaushalte und Industrieunternehmen bestmöglich zu versorgen. Um es aber klar zu sagen: Ein sofortiger Lieferstopp von russischem Gas wäre für die deutsche Volkswirtschaft nicht zu kompensieren – auch mit Energiesparen nicht. Wir müssen uns kurzfristig neue Bezugsquellen für Gas (aber auch für Kohle, die ab August mit einem Embargo belegt ist) suchen. Hieran arbeitet die Bundesregierung gerade sehr intensiv. Wir unterstützen sie dabei.
Dennoch: Energiesparen war und ist dabei natürlich immer sinnvoll, vor allem auch mit Blick auf den Klimaschutz. Alles, was uns jetzt hilft, die energetische Abhängigkeit zu reduzieren, ist zumindest ein kleiner Teil der Lösung. Durch die Optimierung von Lüften, Heizen und Kühlen sowie die allgemeine Reduktion der Raumtemperatur lassen sich einige Prozent des privaten Energiebedarfs einsparen. Nützliche Tipps zum Energiesparen finden sich u.a. im EnBW Blog oder auf dem Portal des Bundeswirtschaftsministerium.
Ein sofortiger Lieferstopp von russischem Gas wäre für die deutsche Volkswirtschaft nicht zu kompensieren – auch mit Energiesparen nicht.
Wie viel bringt das effektiv, wenn Verbraucher ihre Heizungen im Winter runterdrehen? Macht uns das wirklich unabhängiger?
Man muss dazu wissen, dass etwa ein Drittel des deutschen Gasverbrauchs auf die Privathaushalte entfällt. Rund 35 Prozent benötigt die deutsche Industrie und vom verbleibenden Drittel wird ein Großteil zur Stromerzeugung eingesetzt.
Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes könnten immerhin rund 7 Prozent des aus Russland importierten Erdgases eingespart werden, wenn alle Privathaushalte sowie sämtliche Gastronomie- und Gewerbebetriebe in Deutschland die Temperatur dauerhaft um 2 Grad reduzieren. Größere Einsparungen bringt der Umstieg auf neue Techniken. Beim Heizen ist das, neben besserer Gebäudedämmung, vor allem die Wärmepumpe, die Energie aus Strom und Umgebungswärme nutzt. Die Umstellung der Wärmeversorgung ist aber kein kurzfristiges Projekt, sondern eher etwas für die kommenden 20 Jahre.
Das heißt, der eigentliche Hebel wäre die Industrie?
Zumindest ist das ein wesentlicher Hebel. Stand heute ist vor allem die energieintensive Industrie auf Gas angewiesen. Ein Lieferstopp von russischem Gas hätte hier ernsthaftes Schadenspotential. Die Chemieindustrie beispielsweise stellt Produkte her, auf die viele andere Branchen angewiesen sind. Da gibt es höchst komplexe Wechselwirkungen zwischen den Produktions- und Lieferketten. Die Produktion zu drosseln, wie es bei manchen Produkten bereits geschieht, ist mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden – auch Arbeitsplätze könnten gefährdet werden. Eine aktuelle Studie der Uni Mannheim beziffert den volkswirtschaftlichen Schaden eines sofortigen Lieferstopps auf 6% des BIP im Jahr 2022. Das Land würde also in eine schwere Rezession abgleiten, wenn die Lieferungen ausblieben.
Ein wesentliches Problem dabei ist: Kurzfristig bestehen im Industriesektor kaum noch Einsparpotenziale. Aufgrund der seit Corona rapide gestiegenen Energiepreise wurden die meisten schnell umsetzbaren Energieeffizienzmaßnahmen bereits realisiert. Mittelfristig können im Einzelfall noch weitere Effizienzmaßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs beitragen: wie die Nutzung der eigenen Abwärme für die Wärmeversorgung, die Dekarbonisierung des verbrauchten Stroms durch Installation von PV-Panelen auf freien Dach- oder anderen Flächen und die Reduzierung der Prozessverluste durch geeignete Analyse von Verfahren. Wesentlicher wird mittel- bis langfristig die Umstellung von Erdgas auf Strom oder auch klimaneutralen Wasserstoff sein, z.B. in der industriellen Prozesswärme. Wasserstoff kann Erdgas auch z.T. in der stofflichen Nutzung ersetzen.
Welche Maßnahmen wären nötig, um wirklich langfristig unabhängiger von Öl- & Gas zu werden?
Um die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren und unsere ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen, braucht es den umfassenden Umbau des Energiesektors. Wir müssen vor allem den Ausbau der Erneuerbaren Energien enorm beschleunigen. Die im Koalitionsvertrag festgelegte Halbierung der Genehmigungszeiten und zusätzliche Flächen für Wind- und Solarparks sind hierfür ein wichtiger Schritt. Aber es kommt nun darauf an, die Maßnahmen konsequent und schnell umzusetzen. Etwa indem durch schnellere und einfachere, digitale Genehmigungsverfahren der Prozess deutlich beschleunigt wird. Es vergehen aktuell bis zu 70 Monate von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines Onshore-Windparks. Gleichzeitig muss die Ausbaugeschwindigkeit um das 7- bis 8-fache erhöht werden. Es gilt hier wirklich, Fahrt aufzunehmen. Bei der EnBW investieren wir im Rahmen unserer Strategie massiv in den Ausbau der Erneuerbaren: Bis 2025 wird die Hälfte unseres Erzeugungsportfolios aus regenerativen Energien bestehen.
Und was oft vergessen wird: Wenn die Energiewende gelingen soll, muss auch die Netzinfrastruktur und speziell das Übertragungs- und Transportnetz für Strom und Gas massiv ausgebaut werden. Um diesen Kraftakt zu bewältigen, brauchen wir den Schulterschluss mit der Politik. Hier gilt ebenso wie beim Ausbau der Erneuerbaren: Genehmigungshürden müssen abgebaut und Genehmigungsverfahren digitalisiert, beschleunigt und vereinfacht werden.
Diskutiert wird aktuell auch immer wieder, Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen – was halten Sie davon?
Um den Einsatz von Gas zur Stromerzeugung zu reduzieren, kann es kurzfristig sinnvoll sein, zur Stilllegung vorgesehene Kohlekraftwerke eine begrenzte Zeit lang weiter zu betreiben. Auf Dauer ist das aber keine Lösung – zum einen sind die meisten dieser Anlagen schon alt, zum anderen haben wir ja ambitionierte Klimaziele. Wesentlich wird die weitere Umstellung des Kraftwerksparks auf Gaskraftwerke sein, die bei hinreichender Verfügbarkeit von klimaneutralem Wasserstoff schnell umgestellt werden können.
Wie schnell könnten wir einen solchen „Change“ hinbekommen? Auch mit Blick auf ein mögliches baldiges Öl- und womöglich sogar auch Gas-Embargo?
Der Ukraine-Krieg bestätigt auf tragische Weise die Richtigkeit unserer Energiepolitik, die eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen anstrebt. Schrittweise werden wir diesen Umbau hin zu einer CO2-freien Energieversorgung in Deutschland auch hinbekommen. Als Unternehmen EnBW wollen wir beispielsweise bereits 2035 klimaneutral sein. Mittelfristig werden wir in Deutschland in den nächsten Jahren jedoch weiterhin fossile Energie benötigen. Da geht es dann eher darum, den Bezug von russischem Gas und Kohle unter Berücksichtigung hoher Nachhaltigkeits- und Wirtschaftlichkeitskriterien durch Bezug aus anderen Teilen der Welt zu ersetzen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Bei der Steinkohle sind wir auf einem sehr guten Weg und werden als EnBW bereits ab Mitte August keine Kohle mehr aus Russland beziehen. Und auch beim Thema Gas arbeiten wir daran, unsere Bezugsquellen - vor allem über den Ausbau der LNG-Aktivitäten – zu diversifizieren.
Der Ukraine-Krieg bestätigt auf tragische Weise die Richtigkeit unserer Energiepolitik, die eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen anstrebt.
Eine letzte Frage: Herr Dr. Jasper, Sie arbeiten seit 16 Jahren in der Energiebranche – trotzdem dürften die vergangenen Monate auch für Sie ziemlich außergewöhnlich gewesen sein. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Die letzten Monate waren für mich mit die intensivsten meines bisherigen Berufslebens. Uns war immer klar: Die Energiewende verlangt nach ganz neuen Antworten, aber sie war – trotz aller Intensität, mit der wir daran gearbeitet haben und weiter arbeiten – keine solche Disruption wie dieser fürchterliche und sinnlose Krieg. Die Ereignisse nehmen die Kollegen und mich emotional mit. Gleichzeitig müssen wir aber mit Hochdruck daran arbeiten, neue Lösungen zu finden, damit die Energieversorgung auch weiterhin sicher bleibt.
Vielen Dank für das Gespräch!