25.03.2022

Russische Energiemacht: Bringt Biogas Deutschland die Unabhängigkeit?

Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat uns Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energieimporten noch einmal schmerzlich vor Augen geführt. Bestrebungen auf erneuerbare Energien umzustellen, haben angesichts des andauernden Konflikts an Fahrt aufgenommen. Dabei werden verschiedene Alternativen diskutiert, die kurzfristig Abhilfe schaffen könnten. Biogas gilt als großer Hoffnungsträger. Im Interview erklärt Agrarexperte Christopher Braun, was das Ökogas kann und wie Deutschland hier aufgestellt ist.

Multitalent: Die verschiedenen Formen von Biogas // Quelle: f3 farm food future
Multitalent: Die verschiedenen Formen von Biogas // Quelle: f3 farm food future

Deutschland ist aktuell stark auf Energieimporte aus Russland angewiesen, besonders bei Erdgas. Kann Biogas unsere Abhängigkeit (kurzfristig) senken? Wie ist Deutschland hier aufgestellt?
Biogas ist ein echtes Multitalent, mit dem man Strom, Wärme und Treibstoff (LNG) herstellen kann. Der überwiegende Anteil der in Deutschland gebauten Biogasanlagen ist auf die Erzeugung von Strom ausgerichtet. Dabei werden hauptsächlich nachwachsende Rohstoffe wie Mais oder Silage verwendet, aber auch landwirtschaftliche Reststoffe wie beispielsweise Gülle oder Mist gewinnen an Bedeutung. Neben der klassischen Verstromungsanlage kann Biogas auf Biomethan aufbereitet werden. Dieses Biomethan ist mit Erdgas vergleichbar und kann in die Erdgasleitungen eingespeist werden. Über die entsprechende Technik verfügen aktuell jedoch nur etwa 200 der rund 9.650 Biogasanlagen in Deutschland. Damit lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt gerade mal ein Prozent des Gasbedarfs in Deutschland abdecken, bzw. bei knapp 50 Prozent Gaszulieferung aus Russland könnten wir die Importe um zwei Prozent reduzieren. Von Unabhängigkeit kann hier also nicht die Rede sein.

Ein Ausbau der bestehenden Anlagen könnte aber doch Abhilfe schaffen. Wie groß wäre der Nutzen und von welchem Zeithorizont sprechen wir da?
Würden wir alle vorhandenen Biogasanlagen ausbauen, könnten wir etwa zehn Prozent des Gasbedarfs in Deutschland selbst decken. Das klingt erstmal vielversprechend. Die Aufbereitung von Biomethan ist jedoch erst ab einer Anlagengröße von ca. 1,4 Megawatt elektrisch wirtschaftlich sinnvoll. Nicht jede Anlage eignet sich deshalb dafür. Gleichzeitig muss eine Erdgasleitung in der Nähe sein, in die das Biomethan eingespeist werden kann. Andernfalls würden die Kosten für die Zuleitung bis zur Haupt-Erdgas-Leitung die Produktion von Biomethan wirtschaftlich nicht tragen.
Es müssten also nicht nur bestehende Anlagen ausgebaut werden, sondern auch neue hinzukommen. Wer sich heute dafür entscheidet, eine solche Anlage zu betreiben, muss allerdings mit einer Umsetzungsdauer von im Durchschnitt drei Jahren rechnen. Sie wäre also frühestens 2025/2026 einsatzbereit.

Was wir außerdem nicht vergessen dürfen: Seit Jahren wird im Rahmen der sogenannten Tank-Teller-Debatte über Bioenergie gestritten. Der Anbau von Energiepflanzen benötigt Nutzflächen, die für den Anbau von Nahrungsmitteln fehlen. Mit Blick auf die ebenfalls stark steigenden Agrar-Rohstoff-Preise und die drohenden Hungersnöte in Afrika wird es auch Stimmen gegen Energie und für Nahrungsmittel geben. Hier ist die Politik gefragt.

Die derzeit wirkungsvollste Möglichkeit, uns unabhängiger zu machen, ist, unseren Gasverbrauch zu reduzieren, das gilt insbesondere für Gas-Heizungen.

Christopher Braun, Zentralbereich Firmenkunden

Wie könnte eine kurzfristigere Lösung aussehen, uns von Russlands Energiezufuhr zu lösen?
Die derzeit wirkungsvollste Möglichkeit, uns unabhängiger zu machen, ist, unseren Gasverbrauch zu reduzieren, das gilt insbesondere für Gas-Heizungen. Parallel dazu müssen wir alternative Energieformen, bspw. über regenerativen Strom betriebene Wärmepumpen, weiter ausbauen. Auch eine gemeinschaftliche Nutzung von Wärmenetzen, die durch Holzhackschnitzelheizungen betrieben werden, könnte eine Alternative sein.
Auf lange Sicht lohnt es sich dennoch, ergänzend zu Photovoltaik und Windkraft mehr auf Biogas zu setzen. Denn anders als bei Photovoltaik und Wind kann das Blockheizkraftwerk (BHKW) auch nachts oder bei Flaute betrieben werden. So können die Anlagen Stromschwankungen abfedern und zur Systemstabilität beitragen. 2014 wurde für diese Reserve-Möglichkeit ein „Flexibilisierungsbonus“ eingeführt, um Anlagen technisch weiterzuentwickeln. Dies geschieht durch den Zubau eines weiteren BHKWs, um im Bedarfsfall mehr Strom zu erzeugen, bzw. die Anlage an sonnigen Tagen zu drosseln.

Die genossenschaftliche FinanzGruppe ist der größte Agrarfinanzierer Deutschlands. Wie gefragt sind Biogasanlagen bei unseren Kunden?
Die DZ BANK hat seit 2006 bereits mehrere Hundert Anlagen finanziert, darunter klassische Hof Biogasanlagen, aber auch industriell betriebene Anlagen, welche überwiegend als Projektfinanzierung begleitet wurden. Analog zu Strom aus Photovoltaik und Wind erhält der Anlagenbetreiber eine feste EEG-Vergütung auf die erzeugte und eingespeiste kWh. Von 2009 bis 2012 war diese Vergütungssituation überaus lukrativ, weil die Herstellungskosten auf einem niedrigen Niveau lagen. Pro Jahr sind in diesem Zeitraum mehrere hundert Anlagen entstanden. Seit 2014 wurde die Vergütung auf den „Biogas-Strom“ merklich reduziert, so dass der Bauboom stark abgeflacht ist. Seitdem sind nur ca. 80 Anlagen im Jahr entstanden. Wir sind derzeit dennoch gut ausgelastet und rechnen damit, dass perspektivisch noch mehr Bedarf entsteht, besonders mit Blick auf Bio-LNG, was als Treibstoff künftig an Bedeutung gewinnen wird.



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